Freitag, März 29, 2024
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Mercedes SLS E-Cell

Es ist früher Nachmittag in Kristiansund, einem kleinen Nest in West-Norwegen. In dem idyllischen Örtchen interessieren sich die Leute kaum für Autos – schon gar nicht für Sportwagen. Einen Mercedes SLS hat hier noch nie jemand in Natura gesehen, erst recht nicht in neongelb. Zwar gewöhnen sich die Anwohner schnell an den Anblick des grellen Papageien, doch das Aufsehen bleibt groß. Norwegen sieht sich als Ökostaat, versorgt sich selbst gerne mit Ökostrom aus Wasserkraft, ist jedoch einer der größten Erdölexporteure. Für die langen Distanzen und die großen Temperaturschwankungen eignet sich ein Elektroauto hier kaum, argwöhnt einer der neugierigen Zuschauer. Er hat nicht unrecht. Der grell-gelbe Mercedes SLS passt hier ungefähr genauso gut hin wie eine Elefantenherde in einen norwegischen Fjord.

Beim ersten Vollgasstoß gibt der Elektro-SLS kaum mehr als ein Surren von sich. Dennoch springt er gleich nach dem Start los und presst den Fahrer in den wenig stimmig kolorierten Sportsitz. Tempo 50, 100, 150 und schließlich 200 – die Tachonadel fliegt vorbei und kurz fällt bei der elektrischen Vollgasorgie auf, dass im Armaturenbrett gar kein Tourenzähler arbeitet. Wo sonst rechts die Drehzahl glänzt, zeigt ein Digitalinstrument Kraftfluss und Restkapazität des Akkupakets.

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Das elegant sportliche Cockpit des Mercedes SLS ist bei der E-Cell-Version nicht wiederzuerkennen. So gibt es keine Tachonadel, sondern eine Tachoscheibe, die sich dreht und gewaltigen Vortrieb des Boliden visuell unterstreicht. Noch eindrucksvoller ist die Mittelkonsole, die von einem iPad-förmigen Großdisplay mit Touchscreen dominiert wird. Klimatisierung, Radio, Festplattenspieler oder Navigation, alles sieht perfekt aus und unterstreicht, dass der Mercedes SLS E-Cell an sich bereit für den Serienanlauf scheint. Auch außen sieht der Schwabensportler abgesehen von der polarisierenden Lackierung kaum anders als die Serienversion aus. Lediglich an den fehlenden Endrohren ist ein Unterschied zu erkennen.

Doch Kai Marten aus dem AMG-Vorstand dämpft die Erwartungen, die nach den ersten Kilometern noch gewaltiger werden. „Dadurch, dass bei der Gesamtkonzeption des Fahrzeugs bereits eine Elektroversion bedacht wurde, hatten wir einen Vorsprung. Doch es gibt in der nächsten Zeit für uns noch genug zu tun, ehe der SLS E-Cell serienreif ist.“ Während Audi seinen Elektroflitzer e-tron für 2012 angekündigt hat, will Mercedes seine Powerflunder 2013 in einer Kleinserie auf den Markt bringt. Mit dem Preis von 180 000 Euro für den gewöhnlichen SLS wird es dabei nicht getan sein. Der Preis dürfte sich für die ersten Modelle mindestens verdoppeln.

Vier Elektromotoren, die nahe den einzelnen Rädern untergebracht sind, verleihen dem SLS E-Cell wahre Flügel. Dabei kann der Prototyp aus Stuttgart sein mächtiges Eigengewicht von über zwei Tonnen nicht überspielen. In schnellen Kurven oder auch beim Spurt aus dem Stand auf 100 km/h in unter fünf Sekunden macht sich das Leergewicht allemal bemerkbar. Schließlich bringt der E-Cell gut 300 Kilogramm mehr als der Benziner auf die Waage. Die Lithium-Ionen-Akkus wiegen dabei allein 450 Kilogramm und sind im Mitteltunnel, im Vorderwagen und hinter den Sitzen untergebracht. Sie werden von Kokam, einem Batteriespezialisten aus Korea, zugeliefert. Der elektrische Allradantrieb und der niedrige Schwerpunkt steigern die Fahrfreude immens. „Im Vergleich zum normalen SLS ist der Schwerpunkt des E-Cell nochmals 23 Millimeter tiefer“, erklärt Jan Feustel, bei AMG für den elektrischen SLS zuständig.

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Zwar erreicht die E-Version nicht die Leistungswerte des Benziners mit 420 kW/571 PS und 317 km/h, doch immerhin schaffen es die vier Elektromodule des E-Cell auf 392 KW/533 PS und ein gigantisches Drehmoment von 880 Nm. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h. „Das erwarten die Kunden von AMG. Wir sind eine Performance-Marke. Daher soll der SLS E-Cell auch so schnell sein, wie unsere anderen Modelle“, sagt Kai Marten. Wie sehr das die avisierten 200 Kilometer Mindestreichweite angreift, wird sich nach Hochgeschwindigkeitsfahrten auf deutschen Autobahnen zeigen. Hier an der norwegischen Atlantikstraße kann der SLS E-Cell in jeder Form begeistern. Nach über 80 Kilometern flotter bis schneller Fahrt auf der Landstraße zwischen Kristiansund und Bud zeigt der Bordcomputer noch knapp 50 Prozent Restkapazität für den Akkupack an.

Am Thema Ladezeit müssen die Entwickler von AMG noch arbeiten. „Ist der Akku leer, kann der Ladevorgang schon acht Stunden dauern“, so Jan Feustel, „die ersten 60 Prozent gehen vergleichsweise schnell. Danach wird es zäh. Mit Starkstrom wie 400 Volt funktioniert das Ganze natürlich deutlich flotter.“ Zudem bleibt noch die Frage nach dem Motorsound. „Das Einspielen von akustischem Motorsound kommt für uns nicht in Frage“, wirft Kai Marten ein, „der Wagen muss auf jeden Fall elektronisch klingen.“ Aktuell erinnert der gut gedämpfte Sound jedoch nach wie vor an eine beschleunigende S-Bahn. Da haben die Entwickler nach den ersten Testfahrten in Norwegen durchaus noch einiges auf dem Plan. So kommt auch Kristiansund wieder zur Ruhe und kann sich auf sein beschauliches Alltagsleben besinnen. Ein paar Tage war der papageiengelbe SLS E-Cell die Attraktion der Umgebung. Jetzt geht es wieder nur um Fischerei, Bohrinseln und eine Handvoll Touristen. Und an der beschaulichen Ruhe wird sich auch weiterhin nichts ändern. Mit oder ohne Elektro-SLS.

Technische Daten Prototyp SLS E-Cell:
Zweisitziger, zweitüriger Supersportwagen, Länge/Breite/Höhe/Radstand: 4,64 Meter/1,94 Meter/1,26 Meter/2,68 Meter, Leergewicht: über zwei Tonnen;
Elektromotor mit 392 kW/ 533PS, max. Drehmoment 880 Nm, 0-100 km/h: unter fünf Sek, Höchstgeschwindigkeit 250 km/h, Reichweite: 200 km.

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